Wie ich mich durch eine Reise nach Kärnten in die Gegend regelrecht verliebt habe.
Ich weiß, mein Bericht ist viel zu ausführlich geworden - bitte einfach ignorieren ;-)
Diese Fahrt hat ihren Ursprung darin, dass mir im Sekretariat ein Stapel
mit Einladungen zur Teilnahme an einer deutschsprachigen IT Security
Tagung ins Auge fällt, die mein Chef dort ausgelegt hat, weil er im
Programmkomitee dieser Veranstaltung ist. Er selbst findet das Niveau
zwar nicht so besonders, aber nachdem mir einige Punkte im
Vortragsprogramm recht interessant erscheinen, will er mich nicht davon
abhalten, mir selbst ein Bild zu machen, im Gegenteil, findet eine
unabhängige Meinung dazu auch für ihn ein gutes Feedback. Nachdem ich
dieses Geschäftsjahr eh noch keine Fortbildung hatte und mir Klagenfurt
in Österreich ein nettes Reiseziel zu sein scheint, melde ich mich an.
Meist versuche ich, Dienstreisen mit einem privaten Aufenthalt zu
verbinden, um die Gegend des Reiseziels zu erkunden oder auf dem Weg
z.B. in die Berge zu gehen. Ich stelle fest, dass Klagenfurt am
Wörthersee liegt, von dem mir bislang nur der Name geläufig ist,
dass südlich davon an der Grenze zu Slowenien der Gebirgszug der
Karawanken verläuft, der gelegentlich im Bergwetterbericht des
Innsbrucker Wetterdienstes erwähnt wird, und dass der Hochstuhl mit
2236m dort die höchste Erhebung ist. Weil ich gerade mal wieder
beruflich und privat viel um die Ohren habe, mache ich sonst keine
weitere Planung und buche mein Hotel erst ein paar Tage vorher. Ich
muss etwas herumtelefonieren, weil die nächstgelegenen empfohlenen
Häuser aufgrund der Tagung schon voll belegt sind, aber im Weidenhof,
der mir auf dem Foto unsympathisch amerikanisch erscheint und zudem ein
wenig abseits (mit etwa 30 Minuten Gehzeit zum Veranstaltungsort in der
Universität) am Südostufer des Sees liegt, bekomme ich noch ein Zimmer.
Nachdem auch noch das Wetter zwar warm, aber unbeständig werden soll und
ich insgesamt wenig Zeit habe, nehme ich bewusst keine Bergausrüstung
mit (und nicht einmal eine Jacke, für die es in meinem Minimalgepäck,
nämlich ein kleiner Rucksack und eine Laptop-Tasche eng geworden wäre),
und fahre ich erst mit dem letzten durchgehenden Zug, der am Vorabend
gegen 18:20 Uhr ankommt. Der braucht zwar fünf Stunden, aber im
Gegensatz zum Autofahren kann ich die Zeit im Zug gut zum Lesen und/oder
Entspannen nutzen. Ich wäre auch gern geflogen, weil ich mit Vorliebe
Landschaften von oben ansehe und die Strecke in dem Fall fast ständig
über die Alpen führt, aber es lohnt sich auf die kurze Entfernung vor
Allem organisatorisch nicht: keine Flexibilität beim Reisetermin und
großer Zeitaufwand ab der Haustür gerechnet, bis der Flieger endlich in
die Luft geht.
In Klagenfurt angekommen, ist das Wetter recht sonnig, und so beschließe
ich vor dem Weg ins Hotel erst mal einen kleinen Spaziergang in den
Stadtkern zu machen, zumal ich sonst später dafür kaum Gelegenheit haben
werde. Die architektonisch reich verzierten Häuser (Jugendstil)
gefallen mir sehr, und auch sonst ist mir das gemütlich-heitere Flair
der kleinen Hauptstadt Kärntens sehr sympathisch. Schon bereue ich,
dass ich nicht zumindest meine kleine, ältere Digicam mitgenommen habe,
aber zur Not tut es auch die ins Handy eingebaute 2-Megapixel-Kamera,
bei der man immerhin die Belichtung korrigieren kann, was gerade für
Abend- und Morgenstimmungen wichtig ist. Nur das optischen Zoom und den
Polfilter vermisse ich wirklich, und teilweise auch die superkurze
Auslöseverzögerung und das klare Sucherbild meiner digitalen
Spiegelreflex. Der Neue Platz wird gerade umgebaut, aber von ein paar
Straßen weiter lockt mich Musik an. Das Ganze entpuppt sich als
Promotion-Veranstaltung für Klagenfurt als eine der Austragungsorte der
Fußball-EM in knapp einem Jahr. Auf einer eigens aufgestellten kleinen
Musikbühne singt und spielen ältere Teenies einer örtliche Schülerband
(inklusive dreier Saxophonistinnen!) bekannte Hits hauptsächlich der
letzten 20 Jahre. Das finde ich so putzig, dass ich zum Zuhören und
-Schauen bleibe. Das Lied der Klaus Lage Band "1000mal berührt" singt
der Bursche, der die Hauptstimme übernommen hat, so teilnahmslos
herunter, dass ich den Verdacht hege, dass er das Stück wohl zum 1003.
Mal singt, oder was mir noch plausibler erscheint, er selbst bislang
höchstens 999mal (s)ein Mädchen berührt hat. Ich habe Durst und lasse
mir am benachbarten Stand einen Softdrink geben, doch als ich den
Geldbeutel zücke, sagt mir die junge Bedienung, dass das heute gratis
ist! Das Spektakel geht bald schon seinem Ende entgegen, und ich will
mir noch einen kleinen Happen reinschieben, bevor ich einen Bus
möglichst nahe Richtung Hotel nehme - die knapp 6 km zu laufen, wird mir
doch zu lang, und die Kosten für ein Taxi möchte ich meinem Arbeitgeber
ersparen. Der Typ am Dönerstand ist sehr höflich, sehr freundlich auch
der Busfahrer, der mich auch über den verbleibenden Fußweg zum Hotel
informiert, und ebenso die Damen an der Hotelrezeption und im
-Restaurant. Doch nix von wegen amerikanisch, sondern urig-herzliche
Kärntner Gastfreundschaft. Um zur Uni zu kommen, bekomme ich im Hotel
ein Leihfahrrad empfohlen, wofür von einer lokalen Firma im Raum
Klagenfurt eine Menge Anmietstationen verteilt sind, unter Anderem vor
unserem Hotel. Das Fahrrad bekomme ich durch einen von der
Rezeptionistin entgegengebrachten Buchungstrick sehr günstig, und
überhaupt wird sich das Fahrradleihen noch als Glücksgriff
erweisen. Alle(s) einfach total nett und charmant hier!
Die Tagung ist inhaltlich sehr durchwachsen. Die meisten der Vorträge
aus Akademia und Industrie haben höchstens Diplomarbeitsniveau.
Das finde ich insofern beruhigend, als mir die recht hohen Stundensätze,
die wir in unserer Abteilung von unseren Kunden verlangen (müssen), im
Vergleich dann doch gerechtfertigt erscheinen. Aber ich kann die Zeit
der weniger spannenden Vorträge durch den mitgebrachten Dienst-Laptop
trotzdem gut nutzen, nämlich zur Bearbeitung dienstlicher und privater
Mails. Dabei verliere ich aber auch nicht unbeträchtlich Zeit durch
Herumbasteln an der WLAN- und Coroporate Intranet -Verbindung, die doch
des öfteren klemmt. Nunja, früher hat man als Technikfreak an seinem Auto
geschraubt, und heute ist es halt der Computer. Ein paar wenigen
Vorträgen kann ich dann doch was abgewinnen, und eine Sicherheitslösung,
die von einer Münchner Firma vorgestellt wurde, begeistert mich so sehr,
dass ich die Leute bald mal in unsere Abteilung einladen möchte. Ich
treffe auch ein paar Bekannte und lerne mehrere Leute neu kennen, was
ich als ganz wichtigen Nebeneffekt einer solchen Veranstaltung sehe, und
auch dass man einen Überblick bekommt, was die Community derzeit bewegt.
Das Mittagessen ist ausgezeichnet, und ganz besonders das Abendessen,
welches wir auf dem 30 Fahrminuten entfernten Magdalensberg kredenzt
bekommen, von dem man normalerweise einen ganz tollen Rundblick hat, der
heute aber leider durch Bewölkung zumindest stimmungsmäßig getrübt ist.
Am Tisch habe ich zwei Kärntner Diplomanden und einen Doktoranden um
mich. Wir unterhalten uns prächtig, ein echt liebenswertes Volk!
Dabei erfahre ich unter Anderem, dass der sehr treffend und m.E. auch
geschmackvoll "Lakeside" getaufte Industriepark neben der Uni sich
großen Zuspruches erfreut und auch gute Kontakte zur Uni pflegt. Und
auch dass sowohl die kleine Alpen-Adria-Universität wie auch die aus
mehreren Standorten zusammengeschlossene Fachhochschule Kärnten im
Informatik-Bereich sehr rege sind und gut miteinander kooperieren.
Außerdem, dass es gelegentlich Reibereien mit der slowakisch sprechenden
Minderheit im Land gibt (wusste gar nichts von dieser Minderheit) und
dass bei den (jungen) Einheimischen das Bergsteigen nicht so hoch im
Kurs steht, ganz im Gegensatz zum See im Sommer und Skifahren im Winter.
Mir hat es auch die Landschaft rings um Klagenfurt sehr angetan. Als
sich herausstellt, dass das Wetter schon für die nächsten Tage heiß und
weniger gewittrig werden soll und dass ich aufgrund der Terminlage in
der Arbeit ohne Probleme noch einen Tag wegbleiben kann, hänge ich
spontan noch einen Tag an (so ein flexibles Zugticket ist schon was
höchst Praktisches)! Ich miete das Fahrrad noch für einen kompletten
Zusatztag, und gleich nach Veranstaltungsende fahre ich damit in die
Stadt, um mir eine Berg- und Fahrradkarte der Gegend zu besorgen. Ich
will nämlich nun doch unbedingt den Hochstuhl besteigen und danach noch
in den Wörthersee springen, wozu ich vor oder während der Tagung doch
nicht gekommen war. Problem ist nur, dass ich weder Bergschuhe noch
Wandersandalen dabei habe, also in meinen Halbschuhen bergsteigen muss.
Aber ich weiß, dass es auf den Hochstuhl neben einem neuen Klettersteig
auch einen normalen Bergpfad ohne nennenswerte Kraxelei gibt.
Um Zeit und Übernachtungskosten zu sparen, bietet es sich an, am
gleichen Abend noch gut 25 km ins Bärental bei Feistritz zu radeln und
zur Klagenfurter Hütte (1664m) aufzusteigen. Den nur für die Arbeit
benötigten Teil meines Gepäcks (Klamotten, Laptop mit Zubehör,
Papierkram) kann ich netterweise in meinem Hotel deponieren. Zudem habe
ich erfahren, dass ich das Fahrrad vor der Abfahrt nicht dort abgeben
muss, sondern das auch an anderen Stellen, insbesondere in Bahnhofsnähe
machen kann, so dass ich der Bus- oder Taxitransfer vom Hotel zum
Bahnhof entfallen kann.
Als ich kurz nach 18 Uhr vom Hotel Richtung Südwesten losradle, sind
bedrohliche Wolken aufgezogen, so dass ich es fast schon bereue, keine
Plastiktüte für den empfindlicheren Inhalt meines Rucksacks (speziell
zwei gebundene Bücher von John Eldredge) als Regenschutz mitgenommen zu
haben. Aber zum Glück bleibt es trocken, und die Wolken nehmen sogar
wieder ab. Nass werde ich eher von innen, weil es trotz der vorgerückten
Tageszeit sehr schwül ist. Daher nichts wie runter mit dem T-Shirt (und
erst bei Ankunft gegen 21:30 Uhr auf der Hütte werde ich es wieder
anziehen). Unterwegs mache ich ein paar Fotos von den sich zum Teil
schneeweiß auftürmenden Wolken, und von einer MiG-23, die ich im großen
Hof eines Autoteilehändlers entdecke und vermutlich aus dem relativ
nahen ehemaligen Jugoslawien hierher verschleppt worden ist. Sie
erinnert mich an meine drei Monate Aktivurlaub (Grundwehrdienst bei der
Luftwaffe), wo wir u.A. das Erkennen von Kampfflugzeugen russischer
Bauart, die im NATO-Jargon so tolle Namen wie Flogger or Fulcrum haben,
mehr oder weniger ernsthaft erlernt haben. Die Maschine hat schon mal
bessere Zeiten gesehen; das Triebwerk fehlt, so dass man komplett innen
durch den Rumpf durchsehen kann - eine spitze Röhre mit Stummelflügeln,
wenn auch nicht ganz so krass wie z.B. der amerikanische Starfighter.
Im Bärental radle ich zunächst hoch auf einen Parkplatz etwa auf halber
Höhe zur Hütte. Auf dem gut ausgebauten Waldweg (leider mit so gut wie
keinen Aussichtsmöglichkeiten) höre ich weiter oben, wo er nicht mehr
geteert ist und nicht mehr dem Bach direkt folgt, nur noch das leise
Knirschen des Schotters unter den Rädern, das Zwitschern von Vögeln und
meine etwas kräftigere Atmung. Eigentlich wollte ich nur einen Teil
hochradeln und dann zu Fuß weiter, aber nachdem der Weg auch weiter oben
nicht so grob steinig ist wie unten angegeben und weniger steil als
erwartet, radle ich einfach weiter auf dem Forstweg, welcher als
als Mountainbike-Route ausgewiesen ist (und zwar m.E. übertriebenerweise
als "schwere"). Das Rad ist zwar "nur" ein Trekkingrad mit eher schmalen
Reifen, aber der erste Gang ist relativ stark untersetzt, so dass ich
nur an steileren Stellen schieben muss. Dort überlege ich nochmal, das
Rad abzustellen, aber sehe keinen wenig einsehbaren Platz dafür in der
Nähe des Weges, und dann ist die Hütte auch schon bald erreicht.
In der Gaststube treffe ich etwa sechs Leute etwa in meinem Alter aus
Klagenfurt an, die hier einmal pro Woche nach der Arbeit auf die Hütte
kommen und dann später wieder runtergehen bzw. mit Rädern -fahren. Ich
darf mich am ausgezeichneten selbst gemachten Schinken beteiligen, und
einer der Leute gibt mir einige Tipps zu den Berg-, Kletter- und
Skitouren in ihren Hausbergen. Ich finde es echt super, dass man in den
Bergen gleich mit allen per du ist und man sofort etwas hat, worüber man
sich auf kameradschaftlicher Ebene unterhalten kann. Ich muss mich dann
aber bald verabschieden, weil ich morgen ganz früh raus möchte. Nachdem
ich der einzige Übernachtungsgast bin, kann ich mir das Lager frei
wählen (und so laut schnarchen, wie ich "will").
Ich schlafe (wohl wegen der Höhe) nicht so fest, und mich um 4:30 Uhr
mein Handy etwas unsanft, aber in gewisser Weise passend mit einem
Ausschnitt aus dem Song "You take me higher". Ich bin sofort putzmunter
und nach knapp zehn Minuten verlasse ich die Hütte gen Süden. Ich will
spätestens um 5:05 Uhr am Grat oder auf dem sehr nahe am Sattel
gelegenen Gipfel der Bielschitza (1959m) sein, um den Sonnenaufgang
erleben zu können, der von der Hütte nicht sichtbar ist. Ich gehe die
ca. 300 Höhenmeter sehr flott deswegen, und auch weil ich ja keine Jacke
dabei habe und es so früh morgens zwar schon recht hell, aber natürlich
noch ein wenig frisch ist. Mit meinen Halbschuhen komme ich zurecht,
aber sonderlich bequem sind sie fürs Wandern nicht, und ich muss sehr
aufpassen, nicht umzuknicken oder an steileren Stellen (ob der wenig
profilbehafteten Sohle) auf kleinen Steinchen abzurutschen. Bald habe
ich "Betriebstemperatur" erreicht und komme gerade noch rechtzeitig oben
an, zumal die Sonne ein paar Minuten länger braucht als erwartet: sie
musste erst eine flache Wolkenbank am Horizont durchsteigen. Auch sonst
ist es in tiefen Lagen noch recht dunstig bzw. neblig-wolkig, aber in
höheren Lagen schön klar. Weil sich nur ein minimales Lüftchen regt,
lässt es sich auch am Gipfel bereits in den ersten Sonnenstrahlen gut
ohne Jacke aushalten. Ich genieße die Aussicht und singe "Du großer
Gott, wenn ich die Welt betrachte", wovon ich auch ein paar Zeilen
zusammen mit einem kleinen Wetterlagebericht ins Gipfelbuch schreibe.
Bald darauf mache ich mich an den Übergang zum Hochstuhl, wozu man erst
mal ca. 100 HM nach Süden (in slowenisches Gebiet) absteigen und nach
Westen queren muss. Dabei sehe ich drei Gemsen direkt auf dem Weg, die
sich aber wie üblich frühzeitig aus dem Staube machen,
interessanterweise in verschiedene Richtungen. Die Sonne brennt selbst
jetzt um 6 Uhr auf 2000 Metern Höhe schon so stark, dass ich mich
ärgere, meine kurze Hose auf der Hütte gelassen zu haben, aber dann
kommt mir die Idee, doch gleich nur in meiner halbwegs sportlichen,
blaugrauen Unterhose zu gehen. Es ist ohnehin weit und breit kein
Mensch, und die Gemsen, die mich sicherlich aus sicherer Entfernung
beobachten, haben vermutlich andere Sorgen als sich über meinen
komischen Aufzug, noch dazu mit Socken und Halbschuhen, aufzuregen.
Der Bergfrühling treibt im wahrsten Sinne des Wortes schöne Blüten, was
ich natürlich auch auf Silizium banne. Besonders toll finde ich, wie
tief eine Biene in die Kelche einer Gruppe Enzian kriecht, nämlich
so dass man fast nichts mehr von ihr sieht. Erst kürzlich habe ich in
einem Dokumentarfilm gesehen, welch wichtige Aufgabe die Bienen da haben
und wie trickreich dabei eine Selbstbestäubung vermieden wird. Echt
genial, was der Schöpfer sich da ausgedacht - und implementiert - hat.
Kurz nach sieben Uhr komme ich am Gipfel an. Über die nach Norden
schroff abfallende Flanke fällt der Blick auf die Alm und Klagenfurter
Hütte, wo der Wirt um diese Zeit aufstehen wollte. Auf der anderen Seite
ziehen sich grasige Hänge eher gemächlich ins slowenische Flachland
hinunter. Von Westen grüßt der felsige Stock der Julischen Alpen, und
fern am nordwestlichen Horizont kann ich die Hohen Tauern mit dem
Großglockner ausmachen, welcher mir (als mit seinen 3798m höchster Berg
Österreichs) noch in meiner Gipfelsammlung fehlt. Ich wollte mit dem ins
Handy eingebauten Radio mal Nachrichten hören, aber (deutschsprachige)
österreichische Sender bekomme ich erst zu spät rein, und bin ansonsten
erstaunt, wie viele slowenische und wohl auch italienische Programme es
hier zu empfangen gibt. Nachdem ich aber kein mir auf die Dauer
zusagendes Musikprogramm finde, schalte ich das Ding wieder aus.
Dafür jaulen weit entfernt unten im Bärental zwei Motorsägen im Duett.
Auf dem Rückweg zur Hütte kann ich es mir nicht verkneifen, an einem
steilen Hang im Schotter "abzufahren", wobei ich das nicht mit vollem
Galopp mache, weil ich meinen vor gut zwei Monaten beim Skifahren
gebrochenen Knöchel noch etwas schonen möchte, aber vor Allem weil ich
sonst noch mehr höchst unangenehm spitze Steine
über die recht tiefen Schuhränder unter die Fußsohlen bekomme. Dass
dabei die Halbschuhe kräftig einstauben, nehme ich in Kauf. Schon jetzt
beginnen sich über und zwischen den Gipfeln neue Quellwolken zu bilden,
so dass die Hütte im Schatten liegt und ich es auch aufgrund der
verringerten Temperatur es für angebracht halte, mich wieder
zivilisierter anzuziehen.
Auf der Hütte sammle ich die Dinge ein, die ich aus Gewichtsgründen im
Matratzenlager zurückgelassen habe und lasse mir noch zwei Spiegeleier
mit Speck und Milchkaffee kredenzen, bevor ich mich wieder aufs Fahrrad
schwinge. Jetzt bin ich doch froh, das Rad bis zur Hütte mitgenommen zu
haben, denn der Weg ins Tal ist damit viel flotter und gelenkschonender,
und die Abfahrt geht auch viel angenehmer als erwartet: Durch die nur
geringen Unebenheiten vermisse ich nicht wirklich eine Federung und
selbst die schmalen Reifen geben relativ sicheren Halt. Zwischendurch
begegnen mir die ersten Wanderer, die auf dem Weg nach oben sind, und
trotz des durch mein Fahrradfahren extrem kurzen Moments der Begegnung
grüßt man sich freundlich. Bei einem Ehepaar mittleren Alters kommt die
Frau im cremefarbenen BH daher, wodurch ich mich in meinem höchst
legeren Kleidungsstil bestätigt fühle. Das anhaltende Bremsen geht zwar
etwas in die Finger, so dass ich die beiden Bremshebel am Lenker
zuweilen abwechselnd benutze, um die Finger zu entlasten. Ich erinnere
mich mit Grausen an eine Abfahrt mit geliehenen Mountainbikes von der
Kühroint-Alm Richtung Königssee, wo es so steil und meine Bremshebel so
kurz waren, dass ich immer wieder zwischendurch anhalten und die Hände
ausschütteln musste, um es überhaupt auszuhalten, und wo bei Anderen zum
Teil die Felgen so heiß wurden, dass die Schläuche platzten. In nur 40
Minuten bin ich wieder im Tal in Feistritz; es wird wieder warm und
daher Zeit, sich wieder des Hemds und der langen Hose zu entledigen.
Nachdem mein Zug erst in sieben Stunden geht, ist mehr als genug Zeit,
noch den Wörthersee mit dem Rad zu umrunden und dann erst in den See zu
springen. Nachdem der direkte Weg nach Norden ans Seeufer durch eine
Hügelkette versperrt ist, wende ich mich nach Westen und folge einem
größtenteils gut beschilderten Radweg der Drau stromaufwärts. Obwohl es
im Schnitt sogar leicht bergauf gehen muss und es windstill ist, kommt
mir das Fahren so leicht vor, als ginge es leicht bergab. Linkerhand
ziehen sich die Karawanken entlang, deren Spitzen den ganzen Tag in
Quellwolken sind. Aber im Tal ist es praktisch wolkenlos und die Sonne
brutzelt kräftig. Der Übergang von der Drau an die Westspitze des
Wörthersees ist nicht gut ausgeschildert, aber praktischerweise umfasst
meine Freytag&Berndt Karte auch dieses Gebiet, einschließlich des Sees.
Trotzdem frage ich einmal eine ältere Einheimische nach dem besten Weg
nach Velden, den sie mir auch sehr nett und präzise beschreibt.
Inzwischen haben meine Füße in der Hitze fast zu kochen begonnen,
deshalb kommen jetzt noch die Socken und Halbschuhe runter. Barfuß
weiterzufahren ist deswegen kein großes Problem, weil kaum noch
Steigungen zu erwarten sind und ich daher nicht mehr viel Kraft auf die
Pedale brauche. Nachdem der Rucksack auf dem Gepäckträger schon voll
ist, binde ich die Schuhe kurzerhand mit den Schnürsenkeln zusammen und
lasse sie links und rechts am Gepäckträger hängen. Als ich später
Bananen kaufe, finden sie aus Platzmangel, und auch im nicht zerdrückt
zu werden, in den Schuhen Unterschlupf.
Velden am Wörthersee entpuppt sich als schmucker Kur- und Badeort. Als
Ersatz für Mittagessen gönne ich mir an seiner malerischen Promenade
eine etwas übervolle Eiswaffel, und gleich hinterher kommt noch ein
Magnum neuster mit exotischem Namen versehener Kreation. Mit einem süßen
Mädel im Arm wäre das hier sicherlich noch mal so schön. Weil das Wasser
sehr einladend aussieht und ich noch genug Zeit habe, begebe ich mich
gleich zum städtischen Bad mit großer Liegewiese, die um diese Zeit
nicht sehr voll ist. An der Kassa (ja, so heißt das in Ösiland) nennt
mir die Dame einen Preis, der in keinem guten Verhältnis zur geplanten
"Länge" meines Aufenthalts von einer halben Stunde steht, aber als ich
ihr meine Lage erkläre, bietet sie mir sofort eine Sonnenuntergangskarte
für 1,50€ an - super! In Ermangelung einer Badehose muss wieder meine
Unterhose herhalten. Daher verkneife ich es mir aber, mich länger
zwischen Liegeplatz und Wasser im Sichtbereich der sich sonnenden Damen
aufzuhalten. Für meinen kurzen Dip in den See kommt nun noch der
elastische Kompressionsstrumpf runter, den ich noch trage, weil mein
rechte Knöchel leider immer noch die Tendenz hat anzuschwellen. Sobald
ich wieder in der Sonne einigermaßen trocken geworden bin, fahre ich
weiter, inzwischen nur noch meine mit lila Känguruhmuster versehene
Kurze und den Kompressionsstrumf tragend (wobei meine Haut
inzwischen deutlich dunkler als der hautfarbene elastische Stoff ist).
Bevor ich den Ort verlasse, schlappe ich noch in den Zielpunkt (ein
Supermarktkette, die in Deutschland Plus heißt) und versorge mich mit
einem Liter Milch und den schon erwähnten Bananen.
Entlang der Nordseite des Sees ist der Radweg wieder ohne Karte zu
finden, zumal er meist der großen Autostraße folgt und nur gelegentlich
ein paar, teils aber sehr merkwürdige und nicht immer optimal
ausgeschilderte Haken schlägt. Ärgerlich finde ich nur, dass beim
Überqueren von auf die Hauptstraße einmündenden Nebenstraßen einfach das
Ende des Radwegs und direkt dahinter seine Fortsetzung erklärt wird.
Das stellt offenbar eine Kapitulation gegenüber der Unachtsamkeit der
Autofahrer dar, die bekanntlich beim Ein- bzw. Ausbiegen gern Radfahrer
aufs Korn (bzw. die Motorhaube) nehmen. An besonders vielversprechenden
Stellen (z.B. in Pörtschach) weiche ich auf die eigentlich nur Fußgängern
vorbehaltene Uferpromenade aus, die mit wirklich hübschen Hotels,
Alleebäumen, Blumenrabatten, Bänken, Stegen, etc. gespickt ist.
Etwa einen Kilometer vor Ende des Sees entdecke ich beim Fotostop eine
ulkige Bar (mit Öffnungszeiten je nach Wetter) mit Tretbootverleih. Der
Preis pro Stunde ist auch für Einzelbesetzung erträglich, und so komme
ich sogar noch dazu, das Ufer aus ungewohnter Perspektive zu erkunden.
Es gibt hier ne Menge Holzhäuschen mit Sonnenterrasse und Privatsteg,
die bei diesem Wetter auch relativ gut bevölkert sind. Wobei ich die
Idylle beim Vorbeifahren doch etwas störe, denn die Mechanik quietscht
gewaltig. Ich bin nicht sicher, ob das an fehlendem Öl liegt, an der
einseitigen Belastung (denn normal strampeln ja zwei Leute
nebeneinander) oder meinem teilweise recht ambitionierten Hineintreten.
Das hilft allerdings recht wenig (stattdessen kommen nur Spritzer durch
kleine Löcher in der Ablage, so dass meine Sachen etwas nass werden),
denn das Gerät ist einfach nicht für sportliche Fahrweise ausgelegt -
und auch nicht für Leute über 1,60m Größe, so dass das Sitzen für mich
eher unbequem ist. Die Leute am Ufer nehmen das Gequietsche
glücklicherweise mit Humor, so dass sich zweimal ein nettes kleines
Pläuschchen im Vorbeifahren ergibt. Weniger lustig finden es allerdings
die Badegäste an den langen Stegen im Europapark am Ostende des Sees,
dem Zielpunkt meines Ausflugs, dass ich versehentlich in die
Schwimmerzone eindringe, was prompt mit deutlichem Aufruf zum Verlassen
des gesperrten Gebiets quittiert wird. Klar mache ich sofort einen
Rückzieher, und lasse es mir aber nicht nehmen, noch ganz in der Nähe
selbst kurz ins kühle Nass zu tauchen und mir durch die vordere Öffnung
im Bootsrumpf dessen
schaufelraddampferähnliche Mechanik anzusehen. Da wundert mich nicht
mehr, dass der Wirkungsgrad bei größerer Drehzahl rapide abnimmt. Auf
der Rückfahrt bewundere und fotografiere ich noch ein paar Seerosen und
komme pünktlich mit Ablauf einer Stunde an, wo mich der Bootsverleiher
natürlich schon von Weitem kommen hört und mir zu erklären versucht,
dass ein Einölen der Mechanik sogar kontraproduktiv wäre.
Als ich kurz darauf mit dem Fahrrad am Europapark ankomme, wo ich
eigentlich noch an den Strand wollte, ist der Nachmittag schon etwas
fortgerückt, so dass ich nach kurzem Überlegen gleich weiter Richtung
Hotel fahre, denn dort habe ich noch was vor.
Die junge Rezeptionistin hatte mir nämlich erzählt, dass ein paar
hundert Meter nach dem Hotel ein Weg in den Wald zum Komponierhäuschen
von Gustav Mahler führt, das von einem netten einarmigen Mann betreut
und damit für Besichtigungen geöffnet ist. Mit diesem kulturellen
Highlight möchte ich meine Reise ausklingen lassen. Die Abfahrtzeit
meine Zuges etwas im Nacken, finde ich es unpraktisch, dass man den
15minütigen Fußweg nicht auch mit dem Fahrrad zurücklegen darf. Schon
bevor ich loslaufe, kommt ein Mann, auf den die genannte Beschreibung
passen könnte, auf den Parkplatz und fährt weg. Leider versäume ich, ihn
anzusprechen, und als ich kurz darauf am Häuschen angekommen bin, muss
ich feststellen, dass es nur bis 16 Uhr geöffnet ist, und inzwischen ist
es 16:20 Uhr. Schade. So laufe ich schnell den etwas direkteren
Forstweg zurück, hole mein im Hotel deponiertes Gepäck ab und radle auf
dem Weg in die Innenstadt nochmal an der Uni vorbei, um mir dort noch
die E-Mails der letzten 24 Stunden auf den Laptop zu ziehen. Leider ist
aber die Security-Gruppe dort so vorbildlich, dass sie den für die
Tagung eingerichteten WLAN-Gastzugang schon wieder gesperrt hat. Weiter
Richtung Innenstadt kehre ich noch schnell beim Hofer (sprich: Aldi) ein
und nehme noch was zum Trinken und Futtern für die Bahnfahrt mit. Zum
Glück habe ich die Abgabestelle für das Fahrrad bei der Touri-Info am
Neuen Platz schon gestern Nachmittag (um exakt die selbe Zeit) erkundet,
so dass ich ohne weitere Umschweife dort ankomme. Ist auch dringend
nötig, denn mit den Formalitäten für die Abgabe nach einer Einwegmiete
ist das "frische" Personal am Stand noch nicht so vertraut und muss erst
mal bei der Chefin Rückfrage halten. Inzwischen bleiben mit noch knapp
15 Minuten bis zur Abfahrt des Zuges. Als ich die Leute nach dem
schnellsten Fußweg zum Bahnhof frage (okay, so ungefähr weiß ich ihn eh)
empfehlen sie mir, doch vorsichtshalber mit dem Taxi zu fahren. Mir ein
Taxi zu nehmen finde ich dann doch zu aufwendig und so trabe ich durchs
Stadtzentrum, mit meinem eckigen kleinen Rucksack auf dem Rücken, der
Laptoptasche auf einer Seite über der Schulter und einer Papiertasche
des Kärntner Fremdenverkehrsverbandes in der anderen Hand. Unterwegs
fragt mich ein kleiner Bub, warum ich es denn so eilig habe, und
erkläre im Vorbeijoggen, dass "I no mein Zug dawischn wui". Das Ganze
ging dann doch schneller als erwartet, und knapp 8 Minuten vor Abfahrt
betrete ich den Bahnhof - na immerhin einen Vorteil hat die eigentlich
unnötige Eile: ich kann noch gemütlich unter den besten Plätzen im Zug
wählen. In einem Abteilwagen versucht sich eine junge Dame sichtbar
leidend frische Luft zuzufächeln (offenbar ist die Klimaanlage dort
defekt), so dass ich diesmal einen Großraumwagen nehme - und das obwohl
ich sonst kein großer Fan von Klimaanlagen bin. Ich breite meine
Habseligkeiten (zum Teil zum Trocknen vom Baden im See) auf einer
Vierer-Sitzgruppe aus. Der Zug fährt an, und - dicke Regentropfen
prasseln auf das Dach! Das nenne ich Timing! Wobei mir bis dahin gar
nicht bewusst war, dass ich nur knapp dem Regen entkommen bin. Der ist
aber auch ganz schnell wieder vorbei, und aus dem fahrenden Zug kann ich
daher noch ein paar einigermaßen stimmungsvolle Schnappschüsse auf den
See und die westlichen Karawanken machen. Dann fahre ich meinen Laptop
hoch und verbringe die folgenden knapp fünf Stunden Zugfahrt damit, den
ersten Teil dieses Berichts zu tippen. Als ich daheim unter die Dusche
gehe, merke ich, dass ich mir doch glatt (was mir sehr selten passiert)
im unteren Rückenbereich einen leichten Sonnenbrand zugezogen habe.
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Last modified: Thu Jan 17 08:52:46 CET 2008